Morchella

#1
Grüß euch

Nachdem nun endlich die Natur wieder am erwachen ist und die Zeit der Morcheln naht habe ich mal wieder meine Aufzeichnungen durchforstet und beschlossen mich dieser Gattung in den nächsten Monaten etwas näher zu widmen.
Das erste Problem vor dem ich stehe ist gleich mal die Artabgrenzung, deshalb wollte ich mal fragen wie hier eigentlich der aktuelle Wissensstand ist. In der Literatur findet man ja recht unterschiedliche Angaben darüber, was hier als Art einzustufen ist.

Weiters wollte ich mich erkundigen, ob jemand von euch Abhandlungen zu den ökologischen Ansprüchen der einzelnen Arten kennt. Mich würden vor allem Untersuchungen zur Bodenchemie und den Begleitpflanzen nteressieren, weil ich eine Versuchsreihe zum Mycelwachstum auf verschiedenen Substraten starten möchte und in weiterer Folge auch testen möchte, ob es nicht sogar möglich ist die Standorte mancher Arten nachzubilden, um eine Fruchtung zu erreichen.

Die offensichtliche Methode mit den "Mulchmorcheln" habe ich vor einigen Jahren schon mal erfolgreich getestet, allerdings konnten diese qualitativ nicht annähernd mithalten mit Speise- oder auch Spitzmorcheln aus natürlichen Habitaten.

Beste Grüße
Florian

Re: Morchella

#2
Hallo Florian

Die Artbegrenzung bzw. Taxonomie der Morcheln ist eine Wissenschaft für sich... Die Mykologen versuchen gegenwärtig auf Basis
der DNA-Sequenzierung Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Hier ein Link dazu:
https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.3852/14-166

Abhandlungen zu den ökologischen Ansprüchen, welche dir mit Bezug auf die Morchelzucht weiterhelfen könnten, wirst du wahrscheinlich
vergeblich suchen. Da wird aus allem ein grosses Geheimnis gemacht, weil es um viel Geld geht. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen kann ich sagen,
dass ich bisher kein Muster erkennen konnte bezüglich Habitat, Bodenchemie, Flora. Ich habe Morcheln schon an allen möglichen Orten gefunden.
Humose Böden, sandige Böden, steinige Böden, Holzschnitzel, verrottetes Sägemehl. Im Nadelwald, Laubwald, Gärten, Strassenrändern.

Wenn du anfangen willst mit Morcheln zu experimentieren, solltest du zuerst einige Stämme isolieren, welche auf Agar grosse Sklerotien bilden.
Der Nährboden muss nährstoffreich sein und unbedingt Calciumcarbonat enthalten, damit sich grosse Sklerotien bilden.
Sklerotien sind der Schlüssel zum Erfolg. Ohne Sklerotien keine Morcheln. Und es macht natürlich auch einen Unterschied, ob du beabsichtigst
Morcheln indoor ganzjährig zu kultivieren, oder outdoor, womit sich die Fruchtung auf das Frühjahr beschränkt.

Ich bin auch immer am Experimentieren und mein Interesse beschränkt sich auf die ganzjährige Zucht in Innenräumen.

Auf diesem Foto sieht man Sklerotien die sich auf dem Agar-Nährboden gebildet haben.
Die Kultur wurde gestartet ausgehend vom Sporenabdruck eines in China gezüchteten Exemplars von Morchella importuna.
Das Klonen von Morcheln bringt nicht viel, weil Morchelmyzel relativ schnell degeneriert und sich deshalb nicht beliebig oft weiter vermehren lässt,
so dass man gezwungen ist dem entgegenzuwirken, indem man durch Sporenkeimung immer wieder neue Genetiken isoiert,
welche eine gute Sklerotienbildung zeigen.

Morchella importuna.jpg

Bist du der Florian aus Molln?

Gruss
Gerhard

Re: Morchella

#3
Servus Gerhard,

erst mal Danke für die ausführlich Antwort.

Erkannt hast du mich richtig, und ich schätze mal, dass du aus der schönen Schweiz kommst und dich auskennst, wenn ich frage wie es meinem Riesenbovist bei dir ergangen ist?

Die grundsätzlichen Probleme der Morchelzucht sind mir im großen und ganzen geläufig, allerdings bin ich, eben wegen dem Chaos in der Literatur und der momentan stattfindenden taxonomischen Bearbeitung der Gattung, schon recht skeptisch bezüglich der Breite an Habitattypen welche von den jeweiligen Arten besiedelt werden. Aus diesem Grund interessiert mich, was von den in der Literatur beschriebenen Arten, bzw. Varietäten nach aktuellem Stand als "gute Art" durchgehen, weil mir sehr wohl vorkommt, dass Fruchtkörper mit ähnlichem Habitus oft recht begrenzt sind auf gewisse Habitate bzw. Begleitvegetationen.
Allerdings kann ich diese Aussage natürlich hauptsächlich für meine Region treffen, weshalb ich die Hoffnung habe, dass sich damit schon mal irgendjemand ausführlich auseinandergesetzt hat.

Kurzfristig möchte ich dieses Jahr mal wieder ein paar Freilandversuche starten, langfristig wäre natürlich vA der Indooranbau interessant

Beste Grüße

Re: Morchella

#4
Mit Morchella esculenta oder anderen "Rundmorcheln" würde ich keine Zeit verschwenden, weil die alle im Verdacht stehen, Mykorrhizapilze zu sein.

Was die Taxonomie betrifft habe ich den Eindruck, dass die Evolution bei den Morcheln auf Hochtouren läuft und dass ständig neue Arten entstehen.
Ich finde immer wieder Morcheln, die ich beim besten Willen makroskopisch keiner bekannten Gruppe zuordnen kann. Deshalb ist DNA-Sequenzierung sehr wichtig. Ich denke die beste Wahl um eine Kultur zu starten, ist eine Morchel zu wählen, die auf Holzhäcksel wächst, weil diese mit grösster Wahrscheinlichkeit keine Mykorrhizapilze sind, sondern saprobiontisch wachsen. Was den Geschmack betrifft kann ich keinen Unterschied feststellen, zwischen wild wachsenden getrockneten Mulchmorcheln und solchen von anderen Standorten.

Deinem Riesenbovist geht es gut und er fühlt sich auch wohl in Flüssigkultur. Das Problem beim Riesenbovist ist das sehr langsame Myzelwachstum.
CG.jpg


Bei dieser Gelegenheit hätte ich noch eine Frage. Wenn ich mich recht erinnere, hast du in einem anderen Forum mal beiläufig erwähnt, dass du vom
Ziegenfußporling eine Kultur hast. Ich habe auch versucht den zu klonen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das was bei mir auf der
Petrischale wächst wirklich Albatrellus pes-caprae ist. Hast du zufällig ein Foto von deiner Kultur auf Agar?

Gruß
Gerhard

Re: Morchella

#5
Hinsichtlich der mykorrhizierung von Morcheln scheint meines Wissens nach auch noch nicht wirklich Klarheit zu herrschen. Es ist zwar nachgewiesen worden, dass manche Arten mykorrhizaartige Verbindungen zu Bäumen eingehen, recht viel detailliertere Infos konnte ich allerdings noch nicht finden.
Wenn ich mich richtig erinnere habe ich mal gelesen, dass in einer amerikanische Studie sowohl bei M. esculenta wie auch M. elata mykorrhizierung mit diversen Baumarten festgestellt wurde, ob diese jedoch obligat für eine Fruchtung ist und was genau mit M. elata gemeint war ging daraus jedoch nicht hervor. Muss die nächsten Tage mal suchen, das hab ich sicherlich irgendwo abgespeichert.

Beim Bovist bin ich bisher auch noch nicht wirklich auf eine Möglichkeit gekommen ihn zu einer anständigen Wachstumsheschwindigkeit zu bringen. Kompostextrakt im NB hat mir zumindest ein Plus von ca. 20-30% gebracht im Vergleich zu Standardnährböden auf getreidebasis gebracht.

Die Genetik von A. pres-capre habe ich leider nicht mehr, das Mycel war jedoch (auf MYA, PDYA und ähnlichen Nährböden) wattig, extrem dicht, Luftmycel anfangs ca. 2mm hoch, 3-4 Wochen nach Besiedelung: Bildung einer ledrigen Schutzschicht, ähnlich wie Ganoderma spec. jedoch in gleichmäßiger, dunkler, grau-brauner Färbung.

Beste Grüße

Re: Morchella

#6
Was die Kultur der Morcheln betrifft, sollte man auch dem Phänomen Beachtung schenken, dass es Morchelarten und Stämme gibt, die nicht im Frühjahr, sondern im Herbst fruktifizieren. In Israel wurde ein Stamm von Morchella esculenta entdeckt, der in einem Naturschutzgebiet im Sommer über Monate hinweg immer wieder fruktifizierte. Die Fruktifikation war anscheinend nur davon abhängig, wie stark und wie lange das betreffende Naturschutzgebiet künstlich bewässert wurde. Ebenfalls in Israel wurde ein Stamm von Morchella rufobrunnea gefunden, der von November bis Mai immer wieder fruktifizierte. Und die in der Türkei vorkommende Morchella galilaea fruktifiziert ausschliesslich im Herbst.

Leider kann ich hier die Links zu den betreffenden online verfügbaren pdf nicht einfügen. Wenn ich es versuche, bekomme ich die Meldung: Fehler - ungültige Dateierweiterung.
Zuletzt geändert von Gerry am 21.08.2023, 19:55, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Morchella

#7
Sorry, die letzten Tage waren etwas stressig, deshalb erst jetzt die Antwort.

Die angesprochenen pdf zu rufobrunnea und galilaea habe ich inzwischen auch gefunden, allerdings scheinen auch durchaus manche heimische Arten bei richtigen Bedingungen das Potential für einen weiter ausgedehnten Fruchtungszeitraum zu haben.

https://www.zobodat.at/pdf/Sydowia_3_0174-0195.pdf

In dieser, wenn auch schon etwas in die Jahre gekommenen, Arbeit über das Massenauftreten von Morcheln in Waldbrandflächen etwa, wird von Flächen in den Alpen berichtet, in denen Morcheln von Mai bis November immer wieder gefruchtet haben. Weiters wird hier auch vom Auftreten von M. esculenta und M. vulgaris quer über große Brandflächen ohne lebenden Baumbestand berichtet, was mich zu der Vermutung bringt, dass bei richtigen Bedingungen auch diese Arten ohne mykorrhiza-Partner fruchten können.



Albatrellus sah bei mir durchaus ähnlich aus, allerdings hat er eben einige Wochen nach Besiedelung des Substrates eine noch deutlich dunklere, ledrige Schutzschicht gebildet

Beste Grüße

Re: Morchella

#8
Servus beinand,

besser spät als nie ;-). Die Mykorrhiza der Morcheln ist keine klassische Symbiose, wie man sie von Ektomykorrhizen kennt. Die Morchel kann sich auch an Baumarten "setzen", die eben keine Eltomykorrhiza bilden, wobei die Morchel"mykorrhiza" durchaus einer Ektomykorrhiza (mehr oder weniger) entspricht. Man muss aber wohl besser sagen, dass die Morchel ein Sklerotium an der Wurzel bildet und dort den Zucker sammelt, den sie dem Baum abgenommen hat. Dass die Morchel etwas an den Baum abgibt, weiß ich nicht, glaube ich aber eher weniger.
Ich habe mich zwar nicht selber mit Morchella-Mykorrhizen beschäftigt, weshalb ich jetzt auch leider keine Literaturstellen angeben kann, in denen es über Morchella-Mykorrhizen geht (sollte aber recherchierbar sein), aber ich war früher an der Uni in einer Arbeitsgruppe, in der viele mit Ektomykorrhizen gearbeitet hatten. Und da wurde auch über Morcheln geredet.
Jedenfalls würde ich keiner Art der Gattung Morchella eine obligate Mykorrhiza zuschreiben. Es sind eher potentielle Wurzelparasiten, die sich die Kohlenhydrate aber auch aus Rindenmulch, Holzresten usw. holen können. Sie speichern dann den Zucker in Form von Sklerotien und können mit Hilfe der Sklerotien fruktifizieren. Vermutlich kommt es deshalb zu einem einmaligen Massenaspekt an Fruchtkörpern, wenn man z.B. eine von der Speisemorchel befallene Esche fällt. Die Sklerotien werden für die Fruktifikation aufgebraucht, wenn die Morchel "bemerkt", dass ihre Zuckerquelle versiegt.

Soweit ich das richtig verstanden habe, kann man so auch Morcheln züchten - man füttert das Myzel fett, sodass es Sklerotien bildet und nimmt dann die Versorgung mit Nährstoffen weg (z.B. durchlässige Platte, in der das Myzel von "fett" nach "arm" wächst, dort Sklerotien bildet usw.).

Welche Morchelart aber leichter und welche schwerer zu züchten ist, weiß ich nicht. Das ist nicht meine Baustelle. Ich würde aber davon ausgehen, dass es bei allen irgendwie gehen müsste. Es gibt ja auch "Gelbe Speisemorcheln" auf Rundenmulch (wenn auch seltener als im Auwald). Da Spitzmorcheln i.w.S. die größte ökologische Amplitude aufweisen, würde ich aber hier die am einfachsten zu züchtenden Arten verorten. Wie gesagt: reine Vermutung!

Liebe Grüße,
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)